Stehr, Hermann: Leonore Griebel. Roman. 1900 by Stehr

Stehr, Hermann: Leonore Griebel. Roman. 1900 by Stehr

Autor:Stehr [Stehr]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: barsto
veröffentlicht: 2010-12-03T11:15:19.359000+00:00


————

X.

Lange lag über Leonore eine stille Ruhe, wie die Resignation des Wissenden, der sich bescheiden gelernt hat. Doch es war nur ihre Erschlaffung, die so aussah. Bald begann wieder ihr Pilgern nach dem innersten Glück.

Und Griebel mußte wieder wachen, auf der Hut sein, sie begütigen, einlenken, alles thun, um nicht die „Schande“ auf sich zu wälzen, daß seine Frau übergeschnappt sei.

Diese vollständige Entäußerung seiner Überzeugung ward ihm schon oft sehr schwer. Manchmal quoll eine nicht zu bezwingende Erregung in ihm auf, eine Wut. Dann tobte er förmlich über Verdruß im Geschäft, Überbürdung der Arbeit und Ärger mit den Leuten. Denn er ahnte nicht, daß diese Zornmütigkeit nichts war als der Schmerz seines Innern, das um den Frieden schrie, den er seinen Vater in diesen Lebensjahren hatte genießen sehen.

Eine gegenstandslose Spannung zwischen den Ehegatten nahm an Schärfe täglich zu und in Griebels Stirn grub sich eine senkrechte, mürrische Falte immer tiefer.

Die beiden Menschen rangen miteinander wie zwei Kranke in irrer, beißender Bitterkeit; wie zwei vom Wege verschlagene redeten sie dazwischen in Güte und kummervollem Mitleid zu einander.

Aber alles förderte sie nur unaufhaltsam auf dem Wege ihres unerbittlichen Schicksals.

Am Tage nach Aschermittwoch, der auf den 16. Februar fiel, kam Griebel ärgerlicher als sonst nach Hause, warf seinen Hut auf die Kommode und begann sofort zu fluchen und erregt in der Stube auf- und abzuschreiten, Anna, die ihm in den Weg kam, drohte er, „bale of de Gåsse zu schmeißen, dåß kracht“. Er reckte sich auf, rüttelte mit energischem Schlenkern seiner kurzen Beine die Hosen tiefer, spuckte aus, blieb stehen, schüttelte mit einer furchtbaren Gebärde die Faust in die Höhe und begann wieder in der Stube umherzulaufen, versetzte fortwährend die Stühle und stieß sie dann fluchend aus dem Wege.

„Eine scheene Ordnung!“ schrie er kochend dazu.

„Na nu?“ frug die eintretende Leonore und blieb unter der geöffneten Thür stehen.

„Mach de Thire zu!“ knurrte Griebel dumpf, und als dies geschehen war, trat er hart an sie heran und schrie:

„Oan du, — — kimmer dich um Hihnermilch! — verstanden . . . . wenn de mich auch noch ärgern wellst,“ fügte er ruhiger hinzu und begann seine wilde Wanderung an hin- und hergestoßenen Stühlen vorüber von neuem.

Mit einem Gefühl peinlicher Kälte beobachtete Leonore lange den unwürdigen Ausbruch seiner Erregung. Dann frug sie langsam, hart und gezwungen:

„Da sag mir doch wenigstens, was hat?!“

Griebel setzte seinen polternden Rundgang fort, als habe er die Worte seines Weibes nicht gehört, um sie zu einer nochmaligen, dringenderen Frage zu nötigen. Als aber diese nicht erfolgte, blieb er stehen, maß sie mit einem erstaunten Blick und begann dann mit gewaltsamer Sammlung wirr zu erzählen. Dabei lief er wieder auf und zu. Sein Weib hatte Mühe zu verstehen, um was es sich handelte: Ein Ballen Lodenstoff war aus Versehen zu kurz geschoren worden, so daß das grobe Gewebe durchschlug.

„Alle Knochen brech ich dem langlodigen Affenpinscher, so wahr ich Griebel heiß!“ schloß er seine Erzählung. Er rüttelte beide Fäuste nach unten, sein Gesicht war weiß, und die Lippen bebten.

„Erreg dich doch nicht so, dich kann ja der Schlag treffen!“ ermahnte Leonore, nun schon in wärmerem Mitgefühl.



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